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Beitrag vom 13.03.2018
Holly Miranda – Mutual Horse
Christina Mohr
Dass sie ihre Gesangskarriere im Kirchenchor begonnen hat, hört frau Holly Mirandas Songs nicht wirklich an – auf ihrem neuen Album herrscht verspieltes Songwriting statt sakraler Ernsthaftigkeit vor...
Sie könne sich nicht vorstellen, zweimal den gleichen Song zu schreiben, sprich, es sich in einer bestimmten Ecke allzu gemütlich einzurichten, so Holly Miranda, 35-jährige Singer-/Songwriterin, geboren und aufgewachsen in Detroit, seit Langem in New York City ansässig. Und sie hat schon einiges gemacht: Die Songs ihrer ersten Band The Jealous Girlfriends waren in TV-Serien wie CSI: Miami, Grey´s Anatomy oder The L Word zu hören, als Solokünstlerin supportete sie Tegan and Sara, The XX und Florence and the Machine auf deren Tourneen.
David Sitek (TV on the Radio) produzierte ihr Soloalbum von 2011, "The Magician´s Private Library", das - typisch für Sitek – üppig arrangiert und durchaus dancefloor-geeignet war. Auf "Holly Miranda" (2015) reduzierte sie das Soundarsenal auf ein eher klassisches Folk- und Rockinstrumentarium, ebenso wie beim Coveralbum "Party Trick", auf dem sie unter anderem Songs von Drake und Sparklehorse interpretierte.
Mit "Mutual Friends", so scheint es, macht Holly Miranda einen großen Schritt in Richtung Selbstfindung: Deutlich präsenter ist ihr eigenes Trompeten- und Saxophonspiel, das die Klangfarbe des Albums prägt, mal unterschwellig als Akzent im Hintergrund, dann wieder triumphierend voluminös. Auch stimmlich zeigt die kirchenchorgeschulte Holly Miranda ihr ganzes Spektrum von heiser bis glockenklar.
Die vierzehn Songs schwelgen in Country, Chanson, Folk, Jazz, Shoegaze und süßestem Songwriterpop, und für den Minitrack "Gina" hat Holly sogar ihre Familie zum fröhlichen Geschnatter eingeladen. In der von Holly beabsichtigten Vielfalt – siehe Zitat oben – liegt aber auch die Gefahr der Konturlosigkeit: Als Ganzes ist "Mutual Horse" ein schönes Hörerlebnis, die Erinnerung an einzelne, herausragende Stücke fällt jedoch nicht ganz leicht. Okay, der Opener "Wherever" ist ein echter Ohrwurm, auch der folkige Akustiksong "Mr Fong´s" bleibt sofort hängen. "Let Her Go" oder "Sing My Life" überzeugen textlich – so thematisiert Miranda subtil, fast beiläufig ihr lesbisches Liebesleben, ohne "Mutual Horse" zum expliziten Coming-Out-Album zu machen -, bleiben musikalisch aber blass und ein wenig beliebig. Am Interessantesten sind "Towers" und "When Your Lonely Heart Breaks": In diesen Songs wagt sich Miranda am weitesten vor, lässt ihr Saxophon jazzige Kapriolen spielen, oder sie kombiniert tanzbare Beats mit countryesken Arrangements. Es sind die ungewöhnlichen Brüche und Sprünge, die Mirandas Musik spannend machen und die sich sich definitiv öfter "leisten" sollte.
AVIVA-Fazit: Mit "Mutual Horse" stellt Holly Miranda ihr facettenreiches Talent unter Beweis – dem Album hätte jedoch eine Straffung gut getan, um die Highlights schöner leuchten zu lassen. Aber wer weiß, was sich die umtriebige Mrs. Miranda für die nächste Platte einfallen lässt.
Holly Miranda
Mutual Horse
CD
Dangerhorse, VÖ: 23. Februar 2018
14 Tracks
Holly Miranda im Netz: hollymiranda.com und www.facebook.com/HollyMirandaMusic
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